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Thanassis Nalbantis: Weggesperrt - Aus einem Forum im Internet

Verfasst: 22 Jul 2018, 12:11
von ThomWelz
Thanassis Nalbantis
Weggesperrt – Aus einem Forum im Internet

Auch wenn der Autor im Buch den Hinweis voranstellt, dieses Protokoll eines Internetforums sei lediglich fiktiv und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären reiner Zufall, spricht aus dem folgenden Text eine langwierige und schwierige Auseinandersetzung mit selbst Erlebten. – Diese immerwährende Auseinandersetzung mit einem eigenen Lebensausschnitt muss lange angedauert haben und konnte nur mit Hilfe künstlerischer Freiheiten einen endgültigen Abschluß finden.

Selbst wenn man voraussetzt, dass es auch in Deutschland zu allen Zeiten eine sehr große Zahl an Orten gab, in die man jederzeit weggesperrt werden konnte, lässt der Autor am Textanfang eine deutliche Zeit und Ortsbeschreibung hervortreten:
Die Weggesperrten nannten den Schließer unter sich „Blum“, denn der „ließ uns Blumen gießen, selbst wenn´s in Strömen regnete. `79 war ich da. Die Blumenbeete rechts und links vorm Barackeneingang der Assis waren ihm sehr, sehr wichtig.“
Ehemalige Insassen des DDR-Militärgefängnisses Schwedt fühlen sich mit diesem deutlichen Hinweis sofort an diesen Ort am Ende 1970er Jahre zurückversetzt.

Inhaltsbeschreibung des Verlages:
Im Forum WEGGESPERRT befragen sich einst Gefangene nach entgangenem Lebensglück und sinnen auf Rache.
Acht Stimmen melden sich in einem Internetforum zu Wort. Es brauchte Jahre, sich über Haftzeit und Diktatur zu äußern.
Einer macht den Richter von damals ausfindig, ein anderer erinnert an Schikanen unter den Häftlingen, es wird auf Ab-
stand oder auf Aktion gegen damals Mächtige gedrängt und möglicherweise schlich sich ein ehemaliger Aufseher ins
Forum ein.
Acht Stimmen hallen in diesem Echoraum, nicht eine bleibt übrig.
(Paperback; 36 Seiten; 6,99 € inkl. MwSt. ISBN 978-3-740-72910-3, Verlag TWENTYSIX, 2017)


ThomWelz

Re: Thanassis Nalbantis: Weggesperrt - Aus einem Forum im Internet

Verfasst: 02 Okt 2018, 10:07
von Stasi-Forscher
Liebe Freunde der Aufarbeitung,

auf meine Anregung hat sich unsere Bibliothek diese Broschüre besorgt und ich habe sie inzwischen lesen können. Keine Ahnung, ob oder welche Verbindung zwischen dem Autor und dem Militärstrafvollzug besteht. Aber wir dürfen davon ausgehen, dass er unser Forum mindestens zur Kenntnis genommen hat.

Dennoch bleibt offen, ob seine Broschüre sich tatsächlich (nur) auf Schwedt beziehen soll. Ich liste mal PRO & CONTRA auf:


PRO
• Eine Insassengruppe wird als ASSIS benannt und es sind erkennbar nicht Asoziale gemeint (S. 6)
• Einer der fiktiven Forumsschreiber verwendet als persönliche Fußzeile das Zitat „Vergiss nie Deine Träume, hier kannst Du Dich ihrer vergewissern.“ (6)
• Die Forumsleute bastelten sich eine Zeitschiene, in der die individuellen Haftzeiten eingetragen werden sollten (7)
• „Die Unterlagen der einstigen Behörden sind nicht mehr auffindbar“ (8)
• Haftzeiten reichen mehr als 40 Jahre zurück (28)
• Neben dem Forum gibt es einen Verein (11)
• Ein Gefängniswärter soll unter den angemeldeten Forumsmitgliedern und gar im Vereinsvorstand sein, was eher kritisch gesehen wird (11 ff.)
• Zweifel am Versöhnungsansatz des Forums (32)
• „Der Ton wird manchmal zu ruppig“ (25)
• Der Handtuchtest wird thematisiert (16)
• Das beschriebene Forum wurde Opfer einer Hacker-Attacke (5)
• Nach dieser Zwangspause schreiben nur noch wenige Forumsmitglieder (24)
• Ein Forumsmitglied äußert sich zwar nur stellvertretend für einen nahen Verwandten, weiß aber offenbar sehr gut Bescheid (11)
• Ein Forumsmitglied zieht sich enttäuscht zurück (17)

[Okay; manches von dem ist immer noch sehr allgemein und gilt auch für andere Knäste, trifft aber für unser Forum auch zu.]

CONTRA
• Ein Forumsschreiber wurde zu 32 Monaten verurteilt (7), ein anderer gar zu 36 Monaten (9). Letzterer saß im GELBEN ELEND (10)
• Die Zeitschiene galt für mehrere Orte von Inhaftierungen und Arbeitsstellen (7 f.)
• Der mitangemeldete Schließer ist nicht mal mit Nicknamen bekannt (11 ff.)
• Mitgefangene kamen frisch vom Verhör (31)
• Vermutlich aus literarisch-dramaturgischen Gründen wurde in der Broschüre eine provokative Figur unter dem Nick „G.Nosse“ eingeführt, die sich letztlich als Administrator outete und behauptete, alle anderen Posts würden – trotz 8 verschiedener Nicks – nur einer Person zuzuordnen sein….

Eigentlich ist die Broschüre eher ein Zeugnis über die Schwierigkeiten beim Betrieb von „offenen“ Internetforen und der Arbeit mit Zeitzeugen, als eine Auskunft über Gefängnisse wie Schwedt. Letztlich kann ich keine Empfehlung aussprechen. Andererseits ist das Heftchen sehr schnell gelesen.