Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Antworten
Zendor
Beiträge: 2
Registriert: 20 Apr 2011, 13:53

Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von Zendor »

Hallo allerseits,

ich bin ganz neu hier und war nie in Schwedt (bin auch nicht wirklich böse deswegen ;-) ). Aber als Außenstehender kann ich bestätigen, dass es einen enormen Mythos um Schwedt gab. Ich habe von 1984-86 bei einer Nachrichteneinheit in Niederlehme gedient. Wärhend meiner Dienstzeit kam ein "Genosse" aus Schwedt zurück in unsere Einheit. Schon Wochen vorher wurde darüber getuschelt und gemunkelt. Es gab die wildesten "Berichte", z.B. dass in Schwedt Wachen mit Schießbefehl am Sportplatz stehen (falls es überhaupt einen gab), und wenn der Fussball über den Zaun fliegt und einer der MSG ihn holen will, wird sofort geschossen. Das ist offensichtlich kompletter Unsinn. Aber: andere Mythen haben sich als wahr erwiesen, z.B. der, dass jeder Insasse bei der Entlassung unterschreiben musste, nicht über Schwedt zu sprechen. Allein das hat die Phantasie enorm beflügelt! Aus dem Forum hier entnehme ich, dass es aber bei weitem nicht so der Horror war, den man sich "draußen" vorgestellt hat. Kann man das so sagen?
Aber ich wollte von dem Rückkehrer erzählen: der Typ bekam gleich mal ein Einzelzimmer(!) auf unserer Kompanie (als Soldat, wohlgemerkt) und wurde vom KC nach Strich und Faden verhätschelt und verwöhnt. Aber er hat ein halbes Jahr lang kein Wort gesprochen! Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, was das für Gerüchte ausgelöst hat zum Thema "psychisch gebrochen" und so weiter.
Jedenfalls war Schwedt für uns das absolute Schreckgespenst. Wir haben ja auch auf dem Entlassungs-Bandmaß die 133 schwarz ausgemalt...

Schöne Grüße,
Zendor
guetschli
Beiträge: 267
Registriert: 09 Okt 2009, 23:08

Re: Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von guetschli »

Hallo Zendor
Kenne die Nachrichteneinheit . Ich dacht immer das sei Stasi gewesen aber Heute gibts noch überreste. Glaube ich, war lange nicht da. Aber von Miersdorf/Wildau nach KW musste man da vorbei.
Ja , manche waren gebrochen und mansche nicht. Bei mir haben es die Uffz. auch sofort probiert nach meiner Rückkehr, aber mein Hauptfeld hat mich aus der Schusslinie genommen und ich habe auch klargemacht das bei mir nur noch " Lied vom Pferd-Hufe Hoch" geht. Aber als knapp ein Monat später zwei weitere Sold. meiner Kompanie zurück kamen, hat es geklappt. Die waren fertig und die Uffz. habe denen den Rest gegeben. Auch als wir zusammen nachdienen mussten waren sie ganz brav, wärend ich wieder in den Arrest musste. Aber eben, jeder Mensch ist anders. Ich war vorher schon 20 monate im Jugendwerkhof und 4 Monate im Zivilen Knast. Also einiges gewohnt und auch kein Muttersöhnchen, aber es gab ja genug davon bei den Sold. Und wenn sojemand nach schwedt kommt,(nur weil er etwas länger im Urlaub bei Mami blieb) der ist eben am Ende. Wir kriegten jedenfalls unsere Waffen nicht wieder bei der Rückkehr. Das wird sicher sein Grund gehabt haben. Sie waren in Kisten verpackt und wurden bei Alarm auf dem LKW mitgeführt. Im Ernstfall hätten wir sie im Bereitstellungsraum erhalten. War Gott sei Dank nie ernstfall.
Also, sie hatten angst das jemand aus Rache durchdreht, oder aber auch vor Selbstmord.

Wie war es überhaupt in der Regel mit den Waffen ??
Wer bekam sie in seiner Einheit wieder und wer nicht. Würde mich prinzipiell mal interessieren. Gab es feste Regeln ?? Oder machte es jeder Regimentskomandeur wie er es wollte ?
Wäre mal ein Thema
guetschli
[color=#FF0000]2 Monate Strafdienst in der Disziplinareinheit 04.01.1984-03.03.1984[/color]
Benutzeravatar
blitz67
Beiträge: 79
Registriert: 16 Mär 2011, 15:41

Re: Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von blitz67 »

Hallo,
also meine Funkerkarriere war nach Schwedt auch beendet.Ich brauchte keinen Dienst mehr machen war nur noch z.b.V.Hauptfeldwebel.Die Waffenkammer war für mich auch tabu.Hatte auch seine schöne Seite weil ich viel mehr Urlaub und Ausgang bekam wie zuvor.Eigentlich war man nach Schwedt abgeschrieben für die NVA.

Blitz67
Zendor
Beiträge: 2
Registriert: 20 Apr 2011, 13:53

Re: Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von Zendor »

blitz67 hat geschrieben:Hallo,
Eigentlich war man nach Schwedt abgeschrieben für die NVA.
Blitz67
Hallo Blitz67,

danke für die Antwort (auch an guetschli). Was mich aber besonders interessiert, ist die Frage, ob es drinnen tatsächlich so heftig war, dass man als gebrochene Seele herauskam. Guetschli schreibt, dass das von der Persönlichkeit jedes Einzelnen abhing (Knasterfahrung etc.). Andererseits: wenn ich hier im Forum lese, dass es eigentlich nur eine etwas strengere Disziplinierung war, Armee halt, dann frage ich mich, warum ein Entlassener ein halbes Jahr lang kein einziges Wort spricht. Da passt was nicht zusammen. Außerdem: gäbe es dieses Forum und den Bedarf, darüber zu reden, wenn es ein halbwegs normaler Knast gewesen war?

...fragt sich Zendor.

Bei uns im Batallion gab es eine heftige EK-Bewegung, und während meiner Dienstzeit hat sich ein Soldat auf dem Wachturm erschossen, weil er es nicht ausgehalten hat. Ich will damit sagen: Leute, die nicht die psychische Stabilität hatten, so etwas durchzuhalten, gab es nicht nur in Schwedt. Was war also anders dort? Oder war es gar nicht so anders?
Benutzeravatar
blitz67
Beiträge: 79
Registriert: 16 Mär 2011, 15:41

Re: Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von blitz67 »

Hallo Zendor,

also in der Disziplinareinheit war es schon ein bischen anders als draußen.Zum ersten im Objekt arbeiten und dann natürlich viel Sport und militärische Ausbildung.Man sollte ja schließlich als Mustersoldat wieder in die alte Einheit zurückkommen.Wenig Freizeit viel Politunterricht gab es dort auch noch.Keinen Kontakt zur Außenwelt und der Briefverkehr war eingeschränkt und wurde kontrolliert.Also es kam wirklich auf die Persönlichkeit von jeden selbst drauf an wie man Schwedt verkraftet hat.Ich kam damit eigentlich ganz gut klar,konnte es bei der Entlassung auch nicht sein lassen und habe mir im Zug in der Mitropa Alkohol gekauft.Ich kam zu spät in die Einheit und war natürlich abgefüllt.Mein KC war aber gnädig und gab mir blos Arbeitsverrichtung außer der Reihe.Also fest steht eins,jeder der dort war wollte da nicht wieder hin.Dort war alles ein bischen härter wie sonst in der NVA.Aber studiere mal intensiv das Forum eigentlich ist das alles hier gut geschildert worden.

Gruß Blitz67
guetschli
Beiträge: 267
Registriert: 09 Okt 2009, 23:08

Re: Der Mythos Schwedt - mal von aussen betrachtet

Beitrag von guetschli »

HALLO Zendor
Es war natürlich schon etwas anderes als bei der NVA. Der Tag hatte 16 Stunden Stress. Um 04.00h wecken 1/2 Stunde Frühsport(aber richtig) dann Stuben/revier-reinigenFrühstück(10min) und so, alles in Tempo.05.30h ab zur Arbeit ( je nach dem, Leuchtenbau, ode PCK) ich ab ins Betonwerk. 06.00h-14.30h arbeiten ( jeweils 1/2 stunde fahrt). 15 in der DE umziehen in Innendienstuniform, Zeitungschau, danach wieder umziehen Felddienst ( Winter/Sommer) dann raus zur Ausbildung. Sturmbahn oder Marschtraining usw. Dann gegen18,30h wieder rein umziehen dann zum Essen , Stuben/Revierreinigen (endlich eine Zigarette rauchen) um 20.00h Bettruhe. Samstag erst um 05.00h aufstehen aber dafür den ganzen Tag Ausbildung, ab 20.00h freizeit (Fernsehen) 22.00h Bettruhe. Sonntag erst um 06.00h aufstehen(ohne Frühsport) aber Matratzen Klopfen) dann Arbeiten im Objekt und Nachmittags Freizeit zum Briefe schreiben oder so. 20.00h Bettruhe und dann wieder wie jeden Tag. Alles im Tempo, ohne zeit mit deinem "Genossen "zu reden (also mal richtig,Privat) oder eben Rauchen . Buchlesen gabs nicht . Keine privatsphäre immer im Stress. Und die Körperliche Anstrengung und wenig,(dazu noch schlechtes) essen. Auch keine Zeit dazu. ( ich habe 5 Kilo abgenommen in zwei Monaten)Auch nicht mal am Tage hinlegen oder so. Es gab einfach keine 5min freizeit für irgendwas. Dazu kommt dann noch die E-Bewegung , die es ja auch noch gab.
Also wenn ich mich an meine restlichen 18 Monate bei der NVA erinnere waren die wohl eine Erhohlung gegenüber Schwedt.( Ich war bei den Seeanlandetruppen und wir hatten schon eine Spezialausbildung von ehemaligen Fallioffizieren) Ich habe fallis gesehen , die auf dem Zahnfleisch gekrochen sind.
Kleines Beispiel.
ALARM: bedeutet alles was man je bei der NVA erhalten hat und also auch in Schwedt hat (Winter und Sommeruniformen) in den Seesack( oder wer Pech hatte in die Plane die zum Sack zu knüpfen war) einzupacken und unten Reisefertig anzutreten.( Im Ernstfall wäre man in seine alte Kompanie zurück gefahren)
Ich glaube das alle die keine Seesack hatten, die Norm nicht schafften. Da das der Fall war mussten wir also wieder hoch und alles wieder einräumen und den Schrank wie immer auf Kante bauen. wenn das so war und abgenommen war(manschmal flog der Spind gleich wieder um) wurde wieder Alarm ausgelöst und das ganze Spiel ging von vorne los.
Ich weiss nicht mehr wie oft das ganze geschah, aber irgendwann war einfach der Tag zu ende.Und der Dienstplan musste auf Teufel komm raus eingehalten werden.
Nun kannst du dir auch vorstellen wie es denen ging, die nicht rechtzeitig mit ihrem Sack unten angetreten waren und wegen denen man alles wieder und wieder wiederhohlen musste.Denen hat keine auf die Schulter geklopft und gesagt Kopfhoch. Da ging es intern anders zu.Wahrscheinlich auch immer anders. je nach Zusammensetzung der einzelnen Typen.
Das war nur ein kleiner ausschnitt aus dem Alltag.
Ich kann mich erinnern das bei der Sturmbahnausbildung unter Schutz mal eine kleine Rauchpause gemacht wurde. Ich schmiss meine Holz-MP auf den Boden um zu rauchen und sofort war ich dran , da die (HOLZ) MP nun versanden könnte. Nix Rauchpause , sonder unter Schutz um die Sturmbahn laufen( laufen hieß aber auch laufen und nicht gehen)
Ich habe auch nie über Schwedt gesprochen. Warum kann ich dir nicht einmal sagen.Auch nach der Wende nie. Ich habe mich erst wieder seit diesem Forum damit befasst.
Es war verdrängt und ist es immer noch. Eine Dinge kommen langsam wieder vor beim lesen.
Auch beim Lesen der Bücher von Baustus habe ich einige parallelen gefunden.
Ist wie beim Klassentreffen wenn über alte Geschichten bequatscht wird.
Also viel Spass beim Lesen des Forums.
Gruss guetschli
[color=#FF0000]2 Monate Strafdienst in der Disziplinareinheit 04.01.1984-03.03.1984[/color]
Antworten